Ministerrat verabschiedet “Matosinhos-Manifest”
Published on Fr, 19.11.2021 – 15:27 CET in Politics, covering ESAKlimawandel, Sicherheitspolitik, Wirtschaftskrisen – Europa und seine Bürger stehen vor einer Menge Herausforderungen. Damit Raumfahrttechnik und -anwendungen zukünftig schneller zur Lösung dringlicher Probleme genutzt werden können, verabschiedeten die für Raumfahrtaktivitäten zuständigen Minister der ESA-Mitgliedstaaten heute in Matosinhos (Portugal) einstimmig eine Resolution zur beschleunigten Nutzung des Weltraums in Europa.
Der Weltraum ist der Ort, an dem sich der globale Wettbewerb um technologische Innovation, wirtschaftliche Führung und europäische Autonomie verschärfen wird. Es ist dringend notwendig, dass Europa seine Nutzung des Weltraums beschleunigt.
Josef Aschbacher, Generaldirektor ESA
Im sogenannten “Matosinhos-Manifest” wurden drei Beschleunigungsmaßnahmen (“Accelerator”) festgelegt, um die Raumfahrtambitionen Europas auf ein neues Niveau zu heben. Zwei “Inspiratoren” sollen die Führungsrolle Europas in der Raumfahrt stärken. Zudem wurde der Generaldirektor der ESA Josef Aschbacher beauftragt, in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten Konzepte für deren Steuerung und Finanzierung zu entwickeln.
Accelerator 1: Weltraum für eine grüne Zukunft (“Space for a Green Future”)
Die in diesem Accelerator verorteten Maßnahmen sollen es ermöglichen, den aktuellen Zustand der Erde besser zu verstehen. Ein digitaler Zwilling der Erde soll helfen, Szenarien und Lösungen für ein nachhaltiges Leben auf unserem Heimatplaneten zu entwickeln. Das Ziel: Klimaneutralität mit Netto-Null-Treibhausgasemissionen spätestens im Jahr 2050. Gefördert und vorangetrieben werden auch die Dekarbonisierung, eine “Quantum Gravimetry Mission” und “Green Information Factories”.
Accelerator 2: Schnelle und robuste Krisenreaktion (“Rapid and resilient Crisis Respond”)
Dieser Accelerator zielt darauf ab, politische Ebenen bei der schnellen Reaktion auf Krisen zu unterstützen. Und das, ohne die souveränen Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten oder Kompetenzen der Europäischen Union zu verletzen. Als Beispiele für diese Krisen werden Überschwemmungen, Stürme oder auch Waldbrände genannt.
Accelerator 3: Schutz von Weltraumressourcen (“Protection of Space Assets”)
Ziel des dritten Accelerators ist es, ESA-Astronauten und -Anlagen vor Störungen zu schützen. Als solche wurden das Weltraumwetter und Weltraumschrott definiert. Ein auf international dringliches Thema, wie sich erst Anfang dieser Woche (15. November 2021) zeigte: Durch den gezielten Abschuss eines russischen Satelliten entstanden weit mehr als 1.500 Trümmerteile, die eine potentielle Gefahr für Satelliten und die Internationale Raumstation ISS darstellen.
Mit “Inspiratoren” (zurück) zur Spitze
Geeinigt haben sich die Minister auch auf zwei “Inspiratoren”. Deren Ziel ist es, “die europäische Führungsrolle in Wissenschaft, Technologieentwicklung und Inspiration zu stärken.” (ESA) Angedacht ist eine “Icy moon sample return”-Mission, die Mondproben zurück zur Erde bringt. Die astronautische Raumfahrt wird dem Konzept zufolge ebenfalls voran getrieben.
Zäher Prozess oder tatsächliche Beschleunigung?
In seiner Präsentation unterlegte Aschbacher die Dringlichkeit der Themen mit den Kosten, die entstünden, würde man nicht handeln. Bis die Maßnahmen tatsächlich greifen, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. So sei die vorgestellte Resolution zwar ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum europäischen Weltraumgipfel, der im Februar 2022 in Toulouse stattfinden wird. Doch bereits die Ausarbeitung des Konzeptes hat Monate in Anspruch genommen. Als Grundlage dienten Empfehlungen einer, wie es heißt, hochrangigen Beratergruppe Aschbachers. Anfang Oktober 2021 wurde der “Abschlussbericht über die beschleunigte Nutzung des Weltraums in Europa” veröffentlicht. Ende Oktober wurden den Mitgliedsstaaten auf der Sitzung des ESA-Rates die Empfehlungen von Aschbacher vorgestellt.
Das Zwischentreffen der Minister hat die Notwendigkeit eines erneuerten europäischen Weltraumziels bestätigt. Die drei Beschleuniger und zwei Inspiratoren werden Europa helfen, den Weltraum in vollem Umfang für seine Bürger zu nutzen und wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen. Dies gibt mir als Generaldirektor der ESA ein klares Mandat im Vorfeld des Europäischen Weltraumgipfels.
Josef Aschbacher, Generaldirektor ESA
Es ist Zeit, um-, weiter- und vorauszudenken
Die Dringlichkeit wurde festgestellt, die Ziele sind klar, die Ambitionen sind da. Die ESA erhebt den Anspruch an eine Führungsrolle in der Raumfahrt. Dafür wird sie allerdings auch umdenken müssen. Sie muss bereit sein, neue Wege zu beschreiten. Dazu gehört auch, Risiken einzugehen. Die Dynamik des europäischen NewSpace-Ökosystems zeigt, dass das Potenzial zur Lösung dringlicher Probleme bereits vorhanden ist. Der Blick in Vergaberichtlinien offenbart jedoch immer wieder, dass Startups oftmals von wichtigen Ausschreibungen ausgeschlossen sind. Sei es, weil sie noch nicht ausreichend finanziert, zu jung oder zu klein sind.
Ein Missstand, dem die erst kürzlich von NewSpace-Startups gegründete Initiative YEESS! eine starke Stimme entgegen setzen will. Auch auf der SpaceBrewery #11 wurde dieses Thema bereits besprochen. Auf unsere Frage, ob es Bestrebungen gibt, bürokratische Hürden abzubauen, antwortete Generaldirektor Josef Aschbacher:
Dies ist Teil der allgemeinen Verbesserung der Bemühungen zur Kommerzialisierung in der ESA. Dabei geht es nicht nur um Finanzierungsaspekte, wie ich bereits erwähnt habe, sondern auch darum, in unserem Regelwerk dafür zu sorgen, dass junge Unternehmen, Unternehmer und Start-ups Zugang zum Markt haben. Ich glaube, ich weiß, worauf Sie sich beziehen, und ja, das sind Unklarheiten, die wir abbauen sollten.
Klar ist: Mit dem “Matosinhos-Manifest” unterstreicht die ESA die Bedeutung der Raumfahrt zur Lösung globaler Probleme. Nun gilt es, gemeinsam mit den relevanten Akteuren Momentum zu entfalten und die Nutzung des Weltraums durch Europa tatsächlich zu beschleunigen.
via ESA