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Krieg in der Ukraine – Auswirkungen auf europäische Raumfahrt

Diese Deepspace Articles wurde veröffentlicht am Do, 24.02.2022 – 22:05 CET und berichtet über #teamSPACE

Am 21. Februar 2022 twitterte Dmitry Rogosin, Generaldirektor von Roskosmos: “Ehre sei Russland”. Drei Tage später (24.02.2022) marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Im Interview mit Matthias Wachter, u.a. Geschäftsführer der NewSpace-Initiative, war diese Entwicklung noch nicht zwingend abzusehen, es bestand noch die leise Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Konfliktes. Umso dringlicher zeigt sich, dass auch Kooperationen in der Raumfahrt überdacht werden müssen.



Astrodrom
(Michael Weißflog):
Rogosin, der Generaldirektor von Roskosmos, hat einen Tweet mit politischer Sprengkraft abgesetzt. Warum haben diese wenigen Zeichen eine solche Brisanz?


Matthias Wachter:
In der Tat sind die Entwicklungen in der Ost-Ukraine sehr sehr dramatisch. Russland hat die „Unabhängigkeit“ der beiden Volksrepubliken [Donezk und Luhansk] im Osten der Ukraine formal anerkannt. Wir wissen aus verschiedenen Quellen in den Medien, dass mittlerweile auch reguläre russische Truppen in diese beiden Gebiete im Osten der Ukraine einmarschiert sind. Das heißt, was wir gerade erleben ist nichts anderes als eine erneute gewaltsame Verschiebung von Grenzen in Europa. Faktisch ist es eine militärische Annexion dieser beiden Gebiete im Osten der Ukraine. Der Westen, Europa, die USA, haben auch sehr prompt darauf reagiert. Die ersten Sanktionen wurden sofort angekündigt. Ich glaube, das ist erst der Anfang. Ein Punkt, der immer wieder auch genannt wird ist, dass man Russland treffen und auch verhindern will, dass neue Technologien und Hightech weiterhin an Russland fließt. Damit sind wir, ob wir das wollen oder nicht, automatisch auch beim Thema Raumfahrt.

Die Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland ist traditionell sehr sehr gut und sehr weitreichend. Sie hat in den letzten zwei Jahrzehnten auch alle geopolitischen Klippen und großen Spannungen – zum Beispiel bei der Annexion der Krim – überstanden. Das heißt, egal was auf der Erde passiert ist: Man hat ganz bewusst gesagt, man klammert aus, was im All passiert. Im Wesentlichen geht es dabei darum, dass man zum Einen natürlich gemeinsam die Internationale Raumstation ISS betreibt: die Europäer, die Amerikaner, die Japaner und Russland.

Zum anderen geht es darum, dass es eine Kooperation zwischen Europa und Roskosmos gibt, was die Nutzung der russischen Soyuz-Raketen angeht. Diese werden in einer Art “Vermarktungsgesellschaft” von den Europäern zusammen mit der Ariane und der Vega-Rakete auf dem Weltmarkt angeboten. Zudem starten diese unter anderem auch vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. Da gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit.

Wenn wir uns jetzt die Frage stellen, was sich verändern könnte, dann glaube ich, dass die Zusammenarbeit auf der ISS, egal was passiert, ausgenommen ist. Einfach deshalb, weil sich an Bord Astronauten unterschiedlicher Nationen da oben befinden und man diese Station nicht einfach teilen kann. Zudem gibt es die gemeinsame Verpflichtung, diese Station zu versorgen und zu unterstützen. Das heißt, man kann, selbst wenn man wollte, nicht einseitig aussteigen.

Wo es aber – glaube ich – einen Hebel gibt, ist die Zusammenarbeit bei den Trägerraketen und der Nutzung der Soyuz-Raketen. Ich könnte mir vorstellen, dass das politisch in den nächsten Tagen und Wochen aufs Tableau kommt.


Bereits 2014, als Russland die Krim annektierte, wurde das Thema Raumfahrt bewusst ausgeklammert. Es zeichnet sich ab, dass man dies 2022 nicht macht. Das wirft Fragen auf: Hat Russland diesmal einen Bogen überspannt? Sind wir selbstbewusster, haben wir mehr Möglichkeiten, um uns diesen Schritt „erlauben“ zu können?


Ich glaube, dass Russland den Bogen diesmal wirklich überspannt hat. Die Annexion der Krim war schon ein massiver Bruch des Völkerrechts und hat zu massiven Verwerfungen geführt. Man hat damals immer ganz klar signalisiert: Bis dahin und nicht weiter! Auch Bundeskanzler Scholz hat, als er kürzlich in den USA war, ganz klar gesagt: Wenn jetzt noch mal eine militärische Auseinandersetzung von Russland einseitig angetriggert wird, liegt alles auf dem Tisch. Und dieses „Alles“ wird zwangsläufig auch die Raumfahrt auf den Tisch bringen.

“Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen!”

Deshalb glaube ich, dass es weniger eine Position der Stärke der Europäer als vielmehr eine Frage der Glaubwürdigkeit ist. Nach der Intervention, dem Einmarsch in die Ost-Ukraine und dem erneuten Verschieben von Grenzen kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen – auch nicht in der Raumfahrt.


Was wären unsere Perspektiven als Europäer für die nahe und etwas weitere Zukunft?


Wenn man sich nochmal die ISS anschaut: Diese war ja ein „Kind“ der Nach-Wende-Ära, als es eine Annäherung zwischen Ost und West gab. Beeindruckend und bemerkenswert ist, dass in der Jelzin-Ära Russland, die USA und Europa als verbindendes Element eine gemeinsame Raumstation realisieren und etablieren wollten und dies auch getan haben. Damit hat die ISS die Raumfahrt als verbindendes Element maßgeblich mitgeprägt.

Ich glaube jedoch, dass wir jetzt einfach in eine neue Epoche kommen. Zum einen, weil die ISS rein technisch betrachtet in den nächsten Jahren an ihr Ende kommt und ersetzt werden muss – beziehungsweise auch nicht. Russland hat bereits angekündigt, eine Nachfolgestation allein betreiben zu wollen. Damit ist ein Ausscheren Russlands, unabhängig von der aktuellen Situation, letztlich schon kommuniziert.

Zweitens laufen wir meiner Meinung nach auch in der Raumfahrt wieder viel stärker auf einen Wettbewerb, eine Rivalität der Großmächte, zu. Diese Entwicklung kommt einem Rückschritt gleich. Aber ich glaube, wir müssen diesen Realitäten ins Auge sehen. Doch damit stellt sich auch für Europa die Frage, wie wir damit umgehen.

Wir sind bisher, was die astronautische Raumfahrt angeht, Mitfahrer. Wir haben kein eigenes Raumschiff, kein eigenes System, um europäische Astronauten ins All zu bekommen. Das heißt, die fliegen entweder in Russland oder in den USA mit. Russland wird jetzt aus politischen Gründen schwieriger, und was die USA angeht, hat es auch da eine Veränderung gegeben.

Durch die Kommerzialisierung und die Positionierung von SpaceX sind wir nicht mehr Partner auf Augenhöhe, sondern Kunde, der zahlt und mitfliegt. Das ist natürlich auch qualitativ etwas Anderes als in der Vergangenheit. Darüber hinaus sind viele Kooperationsprojekte in der Raumfahrt so genannte Barter-Geschäfte [Tauschhandel]. Das heißt, die Europäer / die Deutschen stocken ihren Anteil an der ISS auf und beteiligen sich stärker finanziell. Dadurch konnten die USA ihr Budget ein verringern. Als Kompensation haben die Europäer das European Service Modul bekommen, das in Bremen für die zukünftigen Mondmissionen im Rahmen des Artemis-Programms hergestellt wird.

Solche Kooperations- und Barte-Geschäfte wird es in Zukunft nicht mehr geben, wenn die USA ausschließlich auf kommerzielle Systeme setzen und das auch bei der Raumstation fortsetzen. Wir haben also so oder so eine große Wende. Ich bin der Meinung, Europa solle das jetzt als Chance begreifen, eigenständiger im All aufzutreten. Wir haben allerbeste Voraussetzungen und mit der Ariane 5 und perspektivisch mit der Ariane 6 einen strategischen Zugang ins All. Den sollten wir stärker nutzen.

Und wir haben mit den Microlauncher-Herstellern, die in den letzten Jahren in Europa und vor allem in Deutschland kommerziell und privat finanziert entstanden sind, auch neue innovative, junge Akteure.

Bevor wir ein korruptes und aggressives Regime im Osten Europas finanziell in der Raumfahrt unterstützen, sollten wir lieber in unsere eigenen Köpfe, in junge Unternehmer:innen, in Aufbruch und Begeisterung hier investieren.

Matthias Wachter, Geschäftsführer NewSpace-Initiative

Wir sollten die neuen Player, die wir in Europa haben und die aus meiner Sicht großes Potenzial haben, unterstützen. Wir müssen keine Sorge haben, aber wir müssen jetzt die richtigen politischen Weichen stellen. Und die heißen, den strategischen Zugang Europas ins All zu stärken und stärker auf die in den letzten Jahren entstandenen kommerziellen Anbieter zu setzen.

Und wenn ich einen Wunsch frei hätte: Wir sollten auch in das Thema astronautische Raumfahrt mit europäischen Astronauten und europäischen Raketen einsteigen.


Doch gerade die Ariane 6 ist ein Prestige-Projekt, auf dessen Erstflug wir seit Jahren warten. Die Microlauncher-Hersteller stehen in den Startlöchern, sollen in erster Linie aber Kleinsatelliten ins All bringen. Gibt es Möglichkeiten, die in den Unternehmen vorhandenen Kompetenzen weiter auszubauen, um die europäische astronautische Raumfahrt voranzubringen?


Es gibt ja nicht umsonst den Spruch „It’s rocket science.“ Das ist etwas ganz Besonderes und mit ganz besonderen Herausforderungen verbunden. Das zeigt auch das Beispiel SpaceX. Wenn ich eine kleine Rakete habe, eine kleine Falcon [Falcon 1], dann kann ich die weiterentwickeln zu einer Falcon 9 oder einer Falcon Heavy. Das ist dann keine Rocket Science mehr. Deshalb glaube ich, und so sind ja auch die Konzepte der drei deutschen Microlauncher-Hersteller angelegt: Sie sind skalierbar.

Sie müssen es jetzt einmal in den Orbit schaffen, sie müssen die Technik beherrschen, aber dann ist auf jeden Fall Potenzial nach oben. Denn alle drei können ihre Rakete skalieren und damit perspektivisch auch die Nutzlasten, die sie ins All bringen, deutlich erhöhen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen jetzt optimale Rahmenbedingungen geben, damit sie ins All starten können. Dann haben wir, glaube ich, eine neue Situation.


Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) wurden noch einmal Rufe nach einem unabhängigen Zugang zum All und von anderen unabhängigen Satellitenkonstellationen laut. Ist das Thema in der Politik nun prominenter, als es das noch vor ein paar Monaten war?


Wir hoffen das und wünschen uns das. In der aktuellen Situation im Osten der Ukraine sehen wir ja gerade: Wir wissen über die Dinge Bescheid, weil wir Augen und Ohren im All haben. Das heißt, die Satelliten, die wir haben, sind längst eine kritische Infrastruktur. Sowohl strategisch aber natürlich auch gesamtwirtschaftlich. Wirtschaftliche Prozesse auf der Erde sind mittlerweile ohne Nutzung von Satelliten, deren Daten, Kommunikation und dem Transfer von Daten nicht mehr vorstellbar. Das wird in Zukunft noch massiv zunehmen. Wir hatten bei der MSC auch eine Veranstaltung mit Will Marshall [Co-founder und CEO] von Planet, Bulent Altan [CEO] von Mynaric, mit Herrn Aschbacher [Generaldirektor ESA], die ganz klar gesagt haben:

Space wird die Wirtschaft auf der Erde radikal verändern. Space ist ein disruptiver Faktor.

Das wird im Moment noch nicht von allen so gesehen, aber es wird passieren. Im Prinzip stehen wir in der Space-Economy da, wo wir vor 20 Jahren mit der Internet-Economy standen. Heute würde niemand mehr in Frage stellen, dass das Internet und die Digitalisierung unsere Wirtschaft und auch den letzten kleinen Tante-Emma-Laden wirklich radikal verändert hat. Perspektivisch wird dies auch mit Space passieren. Damit steigt die Bedeutung von Satelliten und der Infrastruktur im All noch mehr. Das heißt für uns als Europäer, dass wir uns auch Gedanken darüber machen müssen, wie wir diese Infrastruktur schützen. Ende letzten Jahres hat Russland einen ASAT-Test, also eine Anti-Satelliten-Waffe, eingesetzt, um einen eigenen Satelliten abzuschießen. Das war eine ganz klare Machtdemonstration. Ein Signal: “Hey, wir sind in der Lage, eure Satelliten – ohne, dass ihr etwas dagegen tun könnt – abzuschießen oder auszuschalten.”

Das Mittel der Wahl aus meiner Sicht ist, dass man die Fähigkeit besitzt, kurzfristig – meint innerhalb von wenigen Tagen – Satelliten im All zu ersetzen, wenn sie abgeschossen wurden, gestört werden oder etwas anderes passiert. Das nennt man Responsive Space: Die Fähigkeit, Satelliten kurzfristig ins All zu bekommen. Diese defensive, nicht offensive Fähigkeit brauchen wir als Europäer. Deutschland befindet sich dabei in einer exzellenten Ausgangslage, weil wir drei Microlauncher-Unternehmen haben, die Ende diesen, Anfang nächsten Jahres ihre Erstflüge absolvieren wollen. Wir haben eine private Initiative für eine Startplattform in der Nordsee. Es existiert ein ganzes NewSpace-Ökosystem. Die Bundesregierung könnte diese Fähigkeiten, die von jungen Unternehmen und von privaten Investoren geschaffen wurden, nutzen, um den Partnern eine Responsive Space-Fähigkeit für Europa anzubieten. Es sollte jetzt der nächste Schritt sein, dass man solche Fähigkeiten aufbaut. Mit der Möglichkeit, von Kontinental-Europa ins All zu starten, weil es wie gesagt schnell gehen muss. Es ist alles da und man muss die Dinge jetzt nur zusammenbringen. Das ist eine politische Entscheidung, keine technische Frage.


In wieweit ist es wichtig, dass das Thema NewSpace im Koalitionsvertrag steht? War es richtig, es aufzunehmen, reicht der kurze Absatz aus oder hätte man mehr aufnehmen sollen?


Mehr wäre natürlich immer besser. Ein noch ausführlicheres Commitment, hinterlegt mit konkreten Ideen und Vorschlägen, wäre natürlich wünschenswert gewesen. Aber nicht alles, was wünschenswert ist, passiert auch. Ich glaube, der Koalitionsvertrag ist ein guter Anknüpfungspunkt. Die neue Bundesregierung hat zum ersten Mal überhaupt NewSpace erwähnt und hat zum ersten Mal überhaupt festgehalten, dass es eine für die gesamte Wirtschaft zentrale Schlüsseltechnologie ist, die gefördert und ausgebaut werden soll. Der Koalitionsvertrag lässt ein ganz breites Feld an Möglichkeiten und Ausgestaltungen zu. Jetzt geht es darum, mutig diese Definitionslücke zu füllen, und „NewSpace made in Germany“ und damit „Made in Europe“ massiv zu stärken und nach vorn zu bringen. Aus wirtschaftlichen Gründen, aus Klimaschutzgründen aber in der aktuellen Situation auch aus strategischen Gründen.


Was ändert sich in den nächsten Tagen und Wochen für die deutsche und europäische Raumfahrt?


Das wird man sehen müssen. Ich glaube, die Diskussionen, wie stark man noch mit Russland kooperieren will oder kann, werden jetzt beginnen. Es wird Veränderungen geben, aber viel hängt natürlich davon ab, wie die nächsten Schritte Putins aussehen. Wird er nach noch mehr greifen? Wird es zu einer noch größeren Eskalation kommen? Dann liegt, glaube ich, alles auf dem Tisch. Das wäre wirklich dramatisch für die Sicherheit in Europa. Es bleibt zu hoffen, dass das nicht passiert.

Matthias, herzlichen Dank für deine Zeit und deine Erklärungen zum Sachverhalt.


Dieses Interview als Video

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