Raumfahrtpolitik ohne Vision: Kommentar zur neuen Raumfahrtstrategie der Bundesregierung
Published on Fr, 29.09.2023 – 13:08 CEST in Politics, covering VerwaltungDie bisherige Raumfahrtstrategie der Bundesregierung stammte aus dem Jahr 2010 und kann somit ruhigen Gewissens als aus der Zeit gefallen bezeichnet werden. Nun beschloss das Bundeskabinett eine neue Strategie, in der auch die neuen Begebenheiten im NewSpace berücksichtigt werden sollen. Wir haben einen Blick hineingeworfen, fassen die wichtigsten Punkte zusammen und kommen in einem Kommentar zu einem ernüchternden Fazit.
Gleich vornweg: Wer von der neuen Raumfahrtstrategie der Bundesregierung ein Papier erwartet hat, das ähnliche Euphorie erzeugt wie anno dazumal das Apollo-Programm der NASA, wird weitgehend enttäuscht sein. Denn viele relevante Punkte werden zwar angesprochen, konkret wird das Strategiepapier jedoch nur in Ausnahmefällen. Doch der Reihe nach.
Für die Raumfahrtstrategie verantwortlich zeichnet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). In seinem Vorwort geht Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) auf die veränderten Bedingungen ein, unter denen Raumfahrt in unseren Tagen stattfindet. Diese sind zum einen geopolitischer Natur, zum anderen wirtschaftlicher und technischer. Denn weltraumbasierte Anwendungen halten weiter Einzug in unseren Alltag und sind teilweise längst unverzichtbar geworden. So zählen zum Beispiel Satelliten bereits heute zur kritischen Infrastruktur, die es besonders zu schützen gilt. Laut Habeck sind weltraumgestützte Infrastrukturen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sogar essenziell. In der Konsequenz wolle man auf europäischer und internationaler Ebene stärker kooperieren. Die Fähigkeit für Beiträge und Partnerschaften sollen durch nationale Aktivitäten sichergestellt werden. Zudem soll die Kombination aus staatlichen Programmen und marktwirtschaftlichem Wettbewerb “neu kalibriert” werden. Davon erhoffe man sich eine optimale Nutzung der wirtschaftlichen Dynamik in der Raumfahrt, so der Minister.
Quo vadis, deutsche Raumfahrt?
Das erste Kapitel der Raumfahrtstrategie gleicht in weiten Teilen einer gut vorgetragenen Wahlkampfrede. Auf auf sieben Seiten wird der aktuelle Stand der Dinge zusammengefasst. Für ein besseres Verständnis wird beispielweise aufgeführt, welche Auswirkungen der Wegfall von Raumfahrt auf den Alltag hätte. Wie zu erwarten wird betont, dass Deutschland über eine exzellente Forschungslandschaft verfügt. Der Bundesregierung sei jedoch bewusst, “dass neue Zeiten und eine neue Relevanz von Raumfahrtinfrastrukturen auch neues Handeln erfordern.” So wolle der Staat flexible Handlungsmöglichkeiten und innovative Ansätze unterstützen. Ziel sei es, den zukünftigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dazu will die Bundesregierung ihre Raumfahrtaktivitäten “im Lichte der aktuellen Dynamik ambitioniert, bedarfsorientiert und nachhaltig gestalten”. Hier zeigt sich schonungslos das eigentliche Manko: Der deutschen Raumfahrtpolitik fehlt eine Vision.
Ohne klares Ziel wird der Weg ins Weltall zur Irrfahrt
In seiner Rede vor dem US-Kongress im Mai 1961 warb John F. Kennedy dafür, noch in den 1960er Jahren Menschen zum Mond und sicher wieder zurück zu bringen. Elon Musk – der zweifelsohne eine streitbare Persönlichkeit ist – wird nicht müde, die Menschheit zur interplanetaren Spezies weiterentwickeln zu wollen. Nach dem erfolgreichen Start der SpaceX Demo-2-Mission im Mai 2020 verkündete der wohl umstrittenste Politiker der US-Geschichte, Donald Trump, dass man nicht die Nummer 1 auf der Erde sein könne, wenn man die Nummer 2 im Weltall sei. Und – hinsichtlich einer Vision bedeutend – das man nirgendwo Nummer 2 sein werde.
Das sind ohne Zweifel große Töne, die da gespuckt werden und sie lassen sich nicht 1:1 auf die deutsche Mentalität übertragen. Aber sie machen einen Anspruch klar: “Wir wollen diejenigen sein, die das Unmögliche möglich machen. Und wir wollen dabei die besten sein.” Ein solcher hätte auch dem Raumfahrtstandort Deutschland gut getan. Denn während die NASA zum Mond und Musk zum Mars will, tut sich die Bundesregierung schwer damit, überhaupt erst einmal klar zu formulieren, dass Deutschland ins Weltall will.
Europäisch gedacht, halbherzig gemacht
Zugegebenermaßen widerspräche auf den ersten Blick der Anspruch, von deutschem Hoheitsgebiet mit deutschen Raketen deutsche Raumfahrzeuge und perspektivisch deutsche Astronaut:innen ins All zu bringen, der europäischen Idee. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn dass diese Kompetenzen exklusiv nur von Deutschland genutzt werden können, wäre damit nicht gesagt. Letztlich wäre es für die europäische Raumfahrt insgesamt von Vorteil, nicht bei jedem Vorhaben auf die Fähigkeiten Dritter angewiesen zu sein. Dafür jedoch hätte zumindest einmal klar formuliert werden müssen: “Deutschland will aus eigenem Antrieb ins Weltall und in der Raumfahrt eine Führungsposition besetzen.” Nur ist davon in dieser Deutlichkeit nichts zu lesen. Stattdessen versteckt sich die Bundesregierung geradezu hinter dem europäischen Gedanken, der in der Raumfahrtstrategie in Form von ESA, EUMETSAT oder EU zum Ausdruck kommt.
Die Raumfahrtstrategie ist eine große Wunschliste ohne erkennbaren Fahrplan
Im einleitenden Kapitel der Raumfahrtstrategie wird dargelegt, in welchem Umbruch sich die Raumfahrt befindet. Das hilft bei der Einordnung, mehr aber auch nicht. Konkreter hätte es in Kapitel 2 werden können, das sich insgesamt neun identifizierten Handlungsfeldern widmet. In jedem davon werden Ziele und Maßnahmen sowie ausgewählte Schlüsselprojekte vorgestellt, zu denen das BMWK ein Monitoring durchführen wird. Allerdings muss man mit viel Geduld nach Passagen suchen, die nicht schwammig und/oder unklar formuliert sind. Damit wird aber der eigentliche Nutzen einer Strategie ad absurdum geführt. In ihrer jetzigen Form gleicht die deutsche Raumfahrtstrategie eher einer Wunschliste als einem Fahrplan.
# | Handlungsfeld |
---|---|
1 | Europäische und internationale Zusammenarbeit |
2 | Raumfahrt als Wachstumsmarkt – Hightech und NewSpace |
3 | Klimawandel, Ressourcen- und Umweltschutz |
4 | Digitalisierung, Daten und Downstream |
5 | Sicherheit, strategische Handlungsfähigkeit und globale Stabilität |
6 | Nachhaltigkeit und sichere Nutzung des Weltraums |
7 | Weltraumforschung |
8 | Internationale Weltraumexploration |
9 | Raumfahrt im Dialog und Gewinnung von Talenten |
Ziele und Maßnahmen sind nicht das Gleiche
Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, möglichst konkret zu werden. Von der Notwendigkeit können Unternehmensberater:innen ein Lied namens SMARTe Ziele singen. Wie das geht, kann man in jedem Ratgeber für Strategieentwicklung oder auch auf den Seiten des BMI nachlesen. Dort steht zum Beispiel geschrieben: “Die SMART-Regel ist eine Methode, mit deren Hilfe sich Ziele auf ihre klare und konkrete Formulierung hin überprüfen lassen. Die Ziele müssen Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch und Terminiert sein.” Als Vorteile nennt das BMI den geringen (Zeit)Aufwand und konkrete Ziele als Ergebnis. Davon stehen jedoch kaum welche in der Raumfahrtstrategie. Zudem werden Ziele (Was soll erreicht werden?) und Maßnahmen (Wie soll es erreicht werden?) oft vermischt oder verwechselt.
Tag der deutschen Raumfahrt geplant, aber die Raumfahrtindustrie geht leer aus
So bleibt die Raumfahrtstrategie an vielen entscheidenden Punkten Antworten schuldig. Besonders ins Gewicht fällt das bei den Schlüsselprojekten, zu denen nach eigenem Bekunden ein Monitoring durchgeführt werden soll. Einem europäischen Launcher-Wettbewerb (1) wird zwar als Schlüsselprojekt eine ganze Seite gewidmet, wie dieser jedoch ausgestaltet werden soll, wird nicht erwähnt. Gleiches gilt unter anderem für die Beteiligung an internationalen Missionen (2) oder die Kleinsatelliteninitiative (3).
Etwas besser sieht es beim Auf- und Ausbau nationaler Weltraumlagefähigkeiten (7), Weltraumverkehrsmanagement (8), der exzellenten Forschung im niedrigen Erdorbit nach Ende der ISS (10) sowie Raumfahrt erklären (12) aus. Konkret wird die Raumfahrtstrategie beim Space Innovation Hub (4), das als Plattform den Austausch zwischen öffentlichen Bedarfsträgern und Anbietern von Raumfahrtdienstleistungen fördern soll. Auch aus der präzisen Emissionsmessung aus dem Weltraum (5), Cloudplattformen für Klima- und Umweltdaten (6) oder Raumfahrt erleben (13) lässt sich eine Idee ablesen, wie man künftig auftreten will. Doch gerade bei letzterem stellt sich die Frage, warum bereits Nägel mit Köpfen gemacht wurden.
Begeisterung für Raumfahrt durch Copy & Paste?
So soll es im Jahr 2025 einen Tag der deutschen Raumfahrt geben. Die Idee: Alle Raumfahrtstandorte in Deutschland öffnen an einem Tag zeitgleich ihre Türen für die breite Öffentlichkeit. Den Haken dieser scheinbar cleveren Maßnahme liefert die Strategie gleich mit. Denn vermittelt werden soll unter anderem die breite regionale Verteilung der deutschen Raumfahrt über alle Bundesländer hinweg. Ein so gezielt durchgeführter Tag mag also für die breite Öffentlichkeit in Bayern, Bremen oder Berlin zum Erlebnis werden. Wer jedoch in einem Bundesland wohnt, in dem die deutsche Raumfahrt unterrepräsentiert ist, hat das Nachsehen. Es stellt sich die Frage, wie das das Verständnis für die Bedeutung der Raumfahrt in der Bevölkerung erhöhen soll. Letztlich dürfte es überschaubare Erfolge bringen, den Tag des offenen Denkmals zu kopieren. Schlimmstenfalls erweist man dem MINT-Bereich damit einen Bärendienst.
Motivieren, inspirieren, informieren – langfristig und kontinuierlich
Denn Begeisterung und langfristige Auseinandersetzung mit einem Thema schafft man nicht durch Aktionismus. Vielmehr braucht es einen langen Atem, um das Publikum über einen langen Zeitraum bei Laune zu halten. Und vor allem braucht es eine gut erzählte Geschichte. Es ist viel zu kurz gedacht, dass nichts weiter zu tun sei, weil “das Interesse für die Raumfahrt und das Weltall in besonderer Weise geeignet sind, früh für Bildung und Berufe im MINT-Bereich zu begeistern.”
Wenn Fachkräfte gerade in technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen dringend gesucht werden, ist die Inspirationskraft der Raumfahrt auf junge Menschen ein Schlüsselfaktor.
Raumfahrtstrategie der Bundesregierung, Seite 5
Klar ist, dass der Fachkräftemangel um die Raumfahrtindustrie keinen Bogen machen wird. Auch hier gewinnt den Wettstreit um die besten Köpfe, wer am überzeugendsten ist. Dass die Bundesregierung die Chance verpasst hat, deutschen Raumfahrtunternehmen mit einer ambitionierten Raumfahrtstrategie auf internationaler Ebene den Rücken zu stärken, ist nicht nur schade. Sondern es widerspricht dem eigenen Anspruch, den Raumfahrtstandort Deutschland zu stärken und sichtbarer zu machen. Auf medialer Front gibt die US-amerikanische Raumfahrt klar den Ton an, das Logo der NASA ist omnipräsent. Auch wenn viele Vertreter:innen der jüngeren Generation gar nicht wissen, wer oder was die NASA ist oder tut. Demgegenüber ist SpaceX auch denjenigen ein Begriff, die mit Raumfahrt eigentlich nichts am Hut haben. Das mag zum einen an den erreichten (technischen) Meilensteinen liegen, ist aber auch die Konsequenz selbstbewussten Auftretens und cleveren Storytellings.
Der erste Mensch auf dem Mars könnte aus Deutschland kommen – wird es aber nicht
Mit politischem Rückenwind hat es Elon Musks Unternehmen geschafft, die jahrelange Durststrecke in der astronautischen Raumfahrt der USA zu beenden. Robert Behnken und Douglas Hurley wurden nach ihrem Start zur ISS als Helden gefeiert. Zudem setzen die Amerikaner auf Diversität in den Crews. Bereits heute steht fest, dass mit Artemis 3 der erste Nicht-weiße Mann und die erste Frau zum Mond fliegen sollen. Davon sind wir in Deutschland mindestens genauso weit weg, wie der Mond von der Erde. Gerade einmal 13 Deutsche waren bis heute im All, darunter nicht eine einzige Frau. Mit Amelie Schoenenwald und Nicola Winter haben es immerhin zwei deutsche Frauen in die Astronautenreserve der ESA geschafft. Ob sie jemals ins All starten dürfen, bleibt fraglich – obwohl es ihnen mehr als zu wünschen ist.
Dennoch werden sie in der Raumfahrtstrategie als leuchtende Vorbilder positioniert. Ohne sie diskreditieren zu wollen: Aber wofür? Dafür, dass trotz bester Leistungen (2 von 23.000) nur ein Platz auf der Ersatzbank drin ist? Wenn es das Ziel ist, junge Talente für das Thema Raumfahrt im Allgemeinen zu begeistern, dann gibt es im deutschen NewSpace-Ökosystem zahlreiche bessere Beispiele. Denn das Problem der astronautischen Raumfahrt ist und bleibt ihre Exklusivität. Seit Juri Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch ins All flog, haben insgesamt nur 639 weitere den Sprung über die magische 100 km-Grenze geschafft. Es gibt also nach mehr als sechs Jahrzehnten weniger Menschen, die im All waren, als aktuell im deutschen Bundestag sitzen. Für Begeisterung dürfte das nicht gerade sorgen.
Letztlich bleibt nur Hoffnung auf das Engagement der Raumfahrtindustrie
Unter dem Strich drängt sich der Verdacht auf, dass die neue Raumfahrtstrategie das Ergebnis eines stiefmütterlich behandelten Themas ist. Zwar schmückt man sich im politischen Berlin gern mit den Erfolgen der deutschen Raumfahrtindustrie, aber die konkrete Unterstützung fällt mau aus. Das zeigt sich nicht zuletzt am Budget, das für die nationale Raumfahrt zur Verfügung steht. Erst im August 2023 forderten 45 deutsche Raumfahrtunternehmen in einem offenen Brief, das Budget nicht zu kürzen. Knapp 314 Millionen Euro sind im Haushalt für 2024 vorgesehen – gut 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Einsparungen auf nationaler Ebene wiegt auch nicht auf, dass Deutschland mit 3,5 Milliarden Euro (2023-25) größter Beitragszahler der ESA ist. Zumindest solange nicht, wie Ausschreibungen der europäischen Raumfahrtbehörde so gestaltet sind, dass junge Unternehmen regelmäßig ausgeschlossen werden. Dabei sind es gerade Startups, die mit ihren unkonventionellen Ideen für die Dynamik in der Branche sorgen.
Besonders konterkariert wird das Strategiepapier durch ein Fazit des BMWK selbst. Gezogen wurde es im November 2022 erschienen Artikel “Impulse für die deutsche Raumfahrtpolitik“. Darin heißt es: “Deutschland muss sich in seiner neuen Raumfahrtstrategie ambitionierte Ziele setzen, für die jetzt die Weichen richtig gestellt werden müssen.”
Es steht zu befürchten, dass dies nicht passiert ist. Es bleibt also nur zu hoffen, dass sich die Akteure des NewSpace-Ökosystems nicht von der fehlenden Vision der deutschen Raumfahrtpolitik entmutigen lassen und ihre selbst gesteckten Ziele alsbald erreichen. Denn die sind durch und durch SMART und sorgen schon jetzt für Begeisterung.
Hinweis: Dieser Kommentar gibt die persönliche Meinung des Autors wider.