Gegen Kürzung des Raumfahrtbudgets: Deutsche Raumfahrt-KMU richten Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz

Diese Space News wurde veröffentlicht am Di, 08.08.2023 – 08:50 CEST und berichtet über Verwaltung

Immer wieder suchen Politikerinnen und Politiker (fast) aller Parteien den Kontakt zu Raumfahrtunternehmen. Doch die Besuche haben einen bitteren Beigeschmack. Denn in Summe bleibt es oft bei Hochglanzbildern vor “Spacetech Made in Germany”. Das sieht in Pressemitteilungen und Social Media Posts zwar für beide Seiten gut aus, führt in der Wirtschaft aber zu Verdruss. Als nun bekannt wurde, dass das deutsche Raumfahrtbudget gekürzt werden soll, reagierte der Arbeitskreis Raumfahrt-KMU deutlich. In einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz fordern 45 deutsche Raumfahrtunternehmen, keinen strategischen Fehler zu begehen und das Budget stattdessen zu erhöhen.

Der Offene Brief im Wortlaut

Kürzung des Raumfahrtbudgets ist ein großer strategischer Fehler
– Offener Brief an den Herrn Bundeskanzler –

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
aus der Presse ist zu vernehmen, dass Deutschland sein Raumfahrtbudget kürzen will. Das halten wir vom Raumfahrt-Mittelstand für einen großen strategischen Fehler! Da Raumfahrt eines der größten strategischen Querschnittsthemen ist, bitten wir Sie als Bundeskanzler, diesem Plan entgegenzuwirken und stattdessen 2,40 Euro pro Bundesbürger pro Jahr MEHR für Raumfahrt auszugeben.

Dies sind die Gründe:

Raumfahrt bedeutet strategische Positionierung und ist zudem ein Zukunftsmarkt:

  • Die technologische Fähigkeit, Raumfahrt zu betreiben, ist mittlerweile eine weltweit anerkannte STRATEGISCHE FÄHIGKEIT.
  • Dies gilt insbesondere bei Themen wie weltumspannender Kommunikation, Erdbeobachtung, Navigation, Trägerraketen, Sicherheit, Verteidigung.
  • Nicht nur bei Satelliten- und Raketenträgern, sondern auch im Bereich der Zuliefererindustrie hat sich Deutschland in den letzten Jahren hervorragende Kompetenzen und damit ein großes Potential erarbeitet.
  • Die Raumfahrt hat zusätzlich zu den institutionellen Missionen nun auch eine Vielzahl von kommerziellen Missionen hinzugewonnen.
  • Dadurch ist die Raumfahrtindustrie ein stark wachsender Wirtschaftsfaktor.
  • Dieser ist aus national-souveränen Gründen zu schützen, zu fördern und auszubauen.

Weltweit steigern Staaten ihre Raumfahrtbudgets:

  • Die ganze Welt steigert auf staatlicher Seite ihre Investitionen in die Raumfahrt, um ihrer Industrie die besten Randbedingungen zu liefern und durch industrielle Stärke auch strategisch weltpolitisch ein Gewicht zu haben.
  • Dagegen plant das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – als Koordinator der Raumfahrtthemen in Deutschland – KÜRZUNGEN im nationalen Raumfahrtprogramm (- 60 Mio. EUR) sowie auch für das europäische Kommunikationsprogramm IRIS2 (- 120 Mio. EUR), welches eines der wichtigsten, strategischen Infrastrukturen Deutschlands sein wird.
  • Italien hat z.B. kürzlich 1,9 Mrd. EUR aus dem COVID-Recovery Fond der EU (ein großer Anteil kommt also direkt aus Deutschland!) zusätzlich für die nächsten 4 Jahre bereitgestellt. Frankreich erhöht ebenfalls signifikant. USA, China, Indien, Korea, Taiwan, Emirate, Türkei usw., alle wichtigen Staaten erhöhen ihr Raumfahrtbudget.
  • Deutschland gibt insgesamt derzeit 1,8 Mrd. EUR pro Jahr für Raumfahrt aus (ESA und nationales Raumfahrtprogramm, ohne F&E an DLR-Instituten), das sind pro Bundesbürger pro Jahr gerade einmal 22 Euro.
  • Im Vergleich gibt Frankreich derzeit mehr als 3 Mrd. EUR pro Jahr für Raumfahrt aus, pro Bürger 45 EUR.

Durch Raumfahrt den Einfluss sowie den Standort Deutschland stärken:

  • Um in Zukunft an europäischen und globalen Missionen auf Augenhöhe partizipieren zu können, müsste Deutschland derzeit mindestens 200 Mio. EUR mehr im nationalen Programm investieren.
  • Dies ist minimal notwendig, um auch nur annähernd im globalen Wettbewerb Schritt halten zu können.
  • Mit gerade einmal 2,40 EUR pro Jahr und Bundesbürger zusätzlich könnte sich Deutschland im wirtschaftlich-strategischen Bereich der Komponenten-Zulieferer, auf Kleinsatelliten-Systemebene sowie bei den Microlaunchern komplementär zu ESA- und EU-Programmen ausreichend positionieren.
  • Wir, die Unternehmer des deutschen Raumfahrt-Mittelstands, sagen mit unseren über 2.500 Mitarbeitenden zu, unsere volle Innovationskraft für die Raumfahrt einzusetzen, um unsere globale Wettbewerbsfähigkeit zu halten und auszubauen, damit wir zukünftig zusätzliche Arbeitsplätze in dieser Hochtechnologie-Branche in Deutschland anbieten können.

Negative Folgen der aktuellen Planung sind abzusehen:

  • Eine Kürzung von Budgets zum jetzigen Zeitpunkt würde langfristig die europäische und weltweite strategische Partnerschaftsfähigkeit Deutschlands drastisch reduzieren, eine effiziente Klimakontrolle erschweren und das Potential auf Steuereinnahmen verspielen.
  • Das Signal, welches Budget-Kürzungen im High-Tech-Bereich ausstrahlt, wäre fatal: Investoren ziehen sich zurück bzw. priorisieren andere Staaten.
  • Gleichwohl werden sich dringend benötigte neue Fachkräfte und junge Talente aus dem Ausland auf andere europäische Staaten konzentrieren.
  • Der Export von Systemen und Komponenten wird sich nicht auf Deutschland konzentrieren, sondern auf die Länder mit eben den besten Technologien bzw. dem besten Nährboden.
  • In Europa werden Frankreich und Italien in den strategisch wichtigen Bereichen Kommunikation, Erdbeobachtung und Launcher die Spitzenposition in Europa erreichen bzw. ausbauen.
  • Deutschland würde Gefahr laufen, nicht am weltweiten Wachstum der Raumfahrt zu partizipieren.

Begeisterung der Bevölkerung für die Raumfahrt:

Raumfahrt bietet effiziente Lösungen für viele globale Themen. Eine Stärkung der Raumfahrt, von oberster, politischer Stelle unterstützt und richtig kommuniziert, fände bei der mehrheitlich technologiebegeisterten deutschen Bevölkerung mit Sicherheit eine breite Zustimmung. Es wäre auch ein klares Signal, dass sich Deutschland für Zukunftsthemen positioniert. Raumfahrt weckt Begeisterung und erzeugt eine positive Strahlwirkung auf andere Bereiche. Heute sind es allerdings andere Themen der Raumfahrt, die in den Vordergrund gesetzt werden müssten. Was früher die Mondlandung oder die ISS war, ist heute Kommunikation, Erdbeobachtung und Sicherheit. In Relation zu den dominierenden Haushaltsbudgets und Industrieförderungen Deutschlands ist selbst das aktuelle Budget für die Raumfahrt geradezu ein marginaler Beitrag, insbesondere in Relation zum sehr großen Nutzen.

Deswegen empfehlen wir:

  • Unverzüglich ein KLARES NEIN zu Budgetkürzungen in der Raumfahrt.
  • Zusammenlegen der Interessen aus dem Kanzleramt mit denen des Wirtschafts- und Klimaministeriums, Innenministeriums, Auswärtigen Amts, Landwirtschaftsministeriums, Bildungs- und Forschungsministeriums, Verteidigungsministeriums.
  • Ein klares JA zur Stärkung der Raumfahrt in Deutschland.

Mit freundlichen Grüßen
Ernst K. Pfeiffer
(Sprecher Arbeitskreis Raumfahrt-KMU)

AKRK – Arbeitskreis Raumfahrt-KMU

Der AKRK (Arbeitskreis Raumfahrt-KMU) hat 45 deutsche Mitgliedsfirmen (Start-ups wie etablierte KMU) mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Er setzt sich für die Belange der deutschen – teils auch für alle europäischen – KMU in der Raumfahrt ein und kommuniziert hierzu regelmäßig mit deutschen Ministerien, der Raumfahrtagentur (DLR), der ESA, der Europäischen Kommission, SME4Space, den europäischen LSI (Airbus, Thales, OHB), europäischen Midcaps, BDI und BDLI. Er ist die einzige unabhängige Gruppierung von Raumfahrt-KMU in Europa.

Ende des offenen Briefes

Unterzeichnet haben den Offenen Brief unter anderem auch NewSpace Unternehmen wie zum Beispiel Astrofein, Berlin Space Technologies, HPS, Isar Aerospace, Mynaric oder Reflex Aerospace. Eine Antwort des Bundeskanzlers steht bisher allerdings noch aus. Im erst im November 2022 veröffentlichten Artikel Impulse für die deutsche Raumfahrtpolitik kommt man im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) indes zu folgendem Fazit: “Deutschland muss sich in seiner neuen Raumfahrtstrategie ambitionierte Ziele setzen, für die jetzt die Weichen richtig gestellt werden müssen.” Über die tatsächliche Höhe des deutschen Raumfahrtbudgets wird erst im vierten Quartal 2023 entschieden. Dann wird sich zeigen, wieviel der Bundesregierung Raumfahrt wirklich wert ist.

Header Bild: Free Footage
Verfasst von M. Weissflog