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SpaceX Starship Orbital Test Flight

Published on Do, 20.04.2023 – 23:30 CEST in Missions, covering SpaceX

Seit seiner Gründung im Jahre 2002 hat SpaceX immer wieder Raumfahrtgeschichte geschrieben. Mit dem Start des Starship, der größten und leistungsstärksten Rakete aller Zeiten, kommt ein neues Kapitel hinzu. Auch, wenn nicht alles so geklappt hat, wie geplant.

Die ganze Geschichte

Der erste Startversuch sollte bereits am 17. April 2023 erfolgen. Aufgrund eines eingefrorenen Ventils sah SpaceX allerdings von einem tatsächlichen Start ab. Dennoch lief der Countdown bis auf T -40 Sekunden herunter, der Test wurde kurzerhand als Wet Dress Rehearsel deklariert. Ein neues Startfenster wurde 48 Stunden später, am 19. April, anberaumt. Innerhalb der Community wurde jedoch gemutmaßt, dass der 20. April das wahrscheinlichere Datum ist. Denn in der amerikanischen Schreibweise 4/20 ist es eine Referenz auf das in der Cannabis-Kultur gebräuchliche Codewort für den Konsum von Marihuana. Und wer Elon Musk kennt, weiß, dass er dem nicht abgeneigt ist. Letztlich sollte die Space-Community Recht behalten.

Starship Test Flight Mission;
© Official SpaceX Photos
Starship Test Flight Mission;
© Official SpaceX Photos

62 Minuten Startfenster

Das Startfenster für den Orbital Test Flight war laut SpaceX von 15:28 bis 16:30 Uhr MESZ (08:28 bis 09:30 Ortszeit) geöffnet. Entgegen früherer Testflüge ging diesmal auch alles recht schnell. Nach einem kurzen Introfilm erfolgte die Live-Berichterstattung. Der Countdown stand dabei bereits auf T -00:33:27. Eine Minute vor dem Start brach dann bei der Belegschaft von SpaceX zum ersten Mal Jubel aus. Auch beim Passieren der 40 Sekunden-Marke war dies der Fall. Nachdem der Countdown jedoch auf T -00:00:26 gezählt wurde, sprang er wieder auf T -00:00:41, lief abermals bis auf 26 Sekunden herunter und sprang danach wieder auf 41 Sekunden. So stellte sich wenige Sekunden später kurzzeitig Ernüchterung ein, da der Flugdirektor das Anhalten des Countdowns (Hold) angeordnet hatte.

John Insprucker, Principal Integration Engineer SpaceX, Screenshot
© SpaceX
John Insprucker, Principal Integration Engineer SpaceX, Screenshot
© SpaceX

Kommentiert wurde der SpaceX-Livestream von John L. Insprucker. Der US-amerikanische Luft- und Raumfahrtingenieur und pensionierte Oberst der Luftwaffe arbeitet bei SpaceX als Principal Integration Engineer. In gewohnt lockerer Art bat der 66-Jährige die zwischenzeitlich fast 1 Million Zuschauer:innen des Streams um ein wenig Geduld. Was folgte, waren 126 bange Sekunden, in denen außer Hintergrundgeräuschen aus dem SpaceX-Hauptquartier in Hawthorne (Kalifornien, USA) nichts zu hören war. Insprucker meldete sich mit der Information zurück, dass es eine Reihe von Problemen gäbe, an deren Lösung man aktuell arbeite.

Zweiter Anlauf des Orbital Test Flight

Unter anderem gab es Probleme mit der Druckbeaufschlagung des Boosters (Super Heavy, Erststufe). Diese dauerte ein wenig länger als geplant, was jedoch nicht ungewöhnlich sei. Um den Druck zu erhöhen, habe man den Countdown 40 Sekunden vor dem Start angehalten, das Problem schien gelöst zu sein. Gleichzeitig wurde an der Zweitstufe – dem eigentlichen Starship – an einer Spülung gearbeitet. Noch während John Insprucker vermeldete, dass man in Kürze wisse, ob das Problem behoben ist und der Countdown fortgesetzt wird, brandende in Hawthorne erneut Jubel auf. Ob der Start aber tatsächlich stattfinden würde, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar.

Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX
SpaceX Starship Orbital Test Flight, Screenshot;
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Grundsätzlich ist es im Gegensatz zur Falcon 9 aber ein längerer Hold möglich. Denn während sich beim Arbeitstier von SpaceX die Treibstoffe (RP-1, LOX) schnell erwärmen, sind beim Starship (CH4, LOX) bis zu 15 Minuten kein Problem. Dieses Zeitfenster wurde doch nicht ansatzweise ausgenutzt. Nur knapp fünf Minuten nach dem Hold wurde der Countdown fortgesetzt. Zur großen Überraschung begann er mit T -31 Sekunden beinahe da, wo er zuvor aufgehört hatte.

Lift-off in Zeitlupe

Rund sieben Sekunden dauerte es, bis man nach Zündung der Triebwerke sah, dass sich das Starship tatsächlich senkrecht bewegt. Mit mehr als der doppelten Schubkraft der Saturn V hob mit Starship die leistungsstärkste Rakete aller Zeiten ab. Wie gewohnt blendete SpaceX Telemetriedaten ein. So war bereits wenige Meter über dem Launchpad im texanischen Boca Chica zu erkennen, dass nur 29 der insgesamt 33 Raptor-Triebwerke des Boosters liefen. Die je 230 Tonnen Schubkraft pro Triebwerk reichten jedoch aus, um die 5.000 Tonnen schwere, 120 Meter hohe Rakete gen Weltall zu bringen.

Launch von Starship und Super Heavy von SpaceX zum Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX
SpaceX Starship Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX

Ein weiteres Triebwerk fiel 40 Sekunden nach dem Start aus, in einer Höhe von 5 km (T +00:01:01) noch eines. Wenige Sekunden später passierte das Starship Max Q, einen in der Raumfahrt besonders kritischen Punkt. Denn während der Beschleunigung wird die Atmosphäre vor der Rakete immer weiter verdichtet (Staudruck). Max Q bezeichnet also den Punkt, an dem die maximale aerodynamische Belastung auf eine Rakete einwirkt.

Ground View des Starship von SpaceX während des Orbital Test Flights, Screenshot;
© SpaceX
SpaceX Starship Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX

Kritischer Missionspunkt Stufentrennung

Bis rund zweieinhalb Minuten nach dem Start verlief der Testflug der 120 Meter hohen Rakete weitgehend nach Plan. Als nächstes stand die Stufentrennung an, ebenfalls ein kritischer Punkt. Hier hatte SpaceX bereits bei der Entwicklung der Falcon-Rakete Lehrgeld bezahlt, denn bei den ersten Modellen funktionierte sie nicht so, wie geplant. Wie einer der ersten und gleichzeitig wichtigsten Mitarbeiter von SpaceX, Hans Königsmann, in einem Vortrag 2022 erklärte, müssen dafür viele Parameter aufeinander abgestimmt sein. Werden die Triebwerke der Erststufe zum Beispiel nicht rechtzeitig gedrosselt, stößt diese nach der Trennung an die Zweitstufe. Vergleichbar ist das mit einem Auffahrunfall beim Auto. Auch die Trennung selbst muss natürlich funktionieren.

Anomalie beim Orbital Test Flight

Doch genau hier zeigte sich beim Orbital Test Flight ein Problem. Zwei Minuten und 15 Sekunden nach dem Start schalteten die Kameras auf die Onboard-Perspektive um. Doch statt einer erfolgreichen Stufentrennung und der anschließenden Zündung der Triebwerke des Starships zeigte sich eine Anomalie. Wie im Splitscreen zu sehen war, wurde das Flipmanöver eingeleitet, mit dem eigentlich nur der Booster zurück in Richtung Boca Chica fliegen sollte.

Splitscreen während des Livestreams zeigt das Starship von SpaceX während des Orbital Test Flights, Screenshot;
© SpaceX
SpaceX Starship Orbital Test Flight, Screenshot;
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Stattdessen “flog” das Gesamtsystem einen “Looping”. Bis dahin bestand Hoffnung, dass die Trennung doch noch erfolgen würde. Doch nachdem das Starship eine maximale Höhe von 39 km erreichte, folgte ein weiterer “Looping”. “Es sieht so aus, als hätten wir den Beginn eines Flips gesehen. Aber von den Bodenkameras aus sehen wir, dass das gesamte System offensichtlich weiter rotiert. Wir sollten die Stufentrennung bereits hinter uns haben. Offensichtlich handelt es sich nicht um eine nominelle Situation,” kommentierte John Insprucker diese Phase.

Es scheint sich zu drehen, aber ich möchte alle daran erinnern, dass alles, was nach Verlassen des Towers passierte, das Sahnehäubchen auf dem Kuchen war.

Kate Tice, Quality Systems Engineering Managerin, SpaceX

In einer Höhe von 29 km löste nach 3 Minuten und 59 Sekunden das Flight Termination System des Starship aus. Wie auf Videos zu sehen ist, scheinen dabei Super Heavy und Booster separat gesprengt worden zu sein. Obwohl der Orbital Test Flight relativ schnell wieder beendet war, wurde dieser Meilenstein von der Belegschaft frenetisch gefeiert.

Flight Termination System des Starship von SpaceX ausgelöst beim Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX
SpaceX Starship Orbital Test Flight, Screenshot;
© SpaceX

Glückwünsche an SpaceX, Ernüchterung in Europa

Auch in Deutschland wurde der Testflug in Fachkreisen positiv bewertet. So gratuliert etwa Matthias Wachter, Managing Director der NewSpace Initiative (BDI), SpaceX auf LinkedIn zu diesem Meilenstein: “Es war beeindruckend und der Beginn einer neuen Ära – auch wenn die Rakete nach vier Minuten explodiert ist. Die Größe und 100% Wiederverwendbarkeit werden die Transportkosten weiter senken und gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen. Das Tor zu den Sternen wurde heute für die Menschheit noch weiter aufgestoßen.”

“WE ARE GOING TO MARS!”

Vor Ort in Boca Chica war Sabine von der Recke (Vorstand OHB System AG). Sie schreibt ebenfalls auf LinkedIn unter der Überschrift WE ARE GOING TO MARS: “Starship verändert die Raumfahrt, und heute ist ein ganz entscheidender Schritt in diese neue Welt gemacht worden. Es war ein fast schon sureales Erlebnis, am Strand im südlichen Texas zu stehen und diese Wahnsinnsrakete abheben zu sehen und zu hören.” Wie sie betont, beeindruckt sie die absolute Hingabe des Teams und die gemeinsame Begeisterung für das Ziel des Unternehmens, zum Mars zu reisen. Und weiter: “Dass die Mission mit einer Explosion endete, ändert nichts daran dass heute die Weichen für eine neue, andere Zukunft in der Raumfahrt gestellt wurden- und die Explosion hat am frenetischen Jubel aller Anwesenden nichts geändert.”

Des einen Freud, des anderen Leid – Starship vs. Ariane 6

Niklas Nienaß, Mitglied des Europäischen Parlaments, beleuchtet in einer Pressemitteilung die beiden Seiten des erfolgreichen Testflugs. “Der Start von Starship ist ohne Zweifel ein historischer Meilenstein für die weltweite Raumfahrt,” sagt der Grünen-Europaabgeordnete Niklas Nienaß. Die leistungsstarke Schwerlastrakete soll über 100 Tonnen Ladung transportieren können. “Das setzt neue Maßstäbe”, so Nienaß. Bei allem Beifall für Musks Riesenprojekt bleibe aus europäischer Sicht ein Wermutstropfen: “Wieder einmal sehen wir nur zu, wie ein großer Player einen Meilenstein in der Raumfahrt setzt.” Und mehr noch: In diesen Tagen musste die EU laut Medienberichten bei Musks Unternehmen SpaceX anfragen, um ihre europäischen Navigationssatelliten Galileo starten zu können. Ein Start mit dem eigenen Ariane-Raketensystem verschiebt sich aus technischen Gründen immer wieder.

Vertrauen in NewSpace zahlt sich aus

Dass SpaceX mit dem Orbital Test Flight des Starship ein neues Kapitel in der Geschichte der Raumfahrt aufgeschlagen hat, ist dennoch kein Zufall. Letztlich hat die Reise bis an diesen Punkt mehr als zwei Jahrzehnte gedauert und etliche Milliarden Dollar gekostet. Es bleibt zu hoffen, dass auch Europa aus diesem Startversuch lernt. Denn es wurde einmal mehr deutlich, dass sich Risikobereitschaft und Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von NewSpace-Unternehmen auszahlen. Mit der Microlauncher-Competition hat zumindest Deutschland gezeigt, dass es die Zeichen der Zeit erkannt hat. Bereits für Ende 2023 ist der erste Start eines deutschen Microlaunchers von Isar Aerospace geplant. Und wenn alles klappt, haben auch wir allen Grund zu Jubeln – und schreiben ebenfalls Raumfahrtgeschichte.


Livestreams des Orbital Test Flights

Thumbnail SpaceX Livestream Orbital Test Flight Starship, © SpaceX
SpaceX Livestream
Thumbnail SpaceX Livestream Orbital Test Flight Starship, © Senkrechtstarter
Livestream bei Senkrechtstarter
Header Bild: SpaceX
Verfasst von M. Weissflog
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