Täglich sollen bis zu 1,5 Tonnen Kleinsatelliten ins All starten
Published on Fr, 28.07.2023 – 09:43 CEST in Upstream, covering EuroconsultTrotz Lieferengpässen und anhaltender Inflationssorgen wächst der Markt für Kleinsatelliten in allen Bereichen. Steigende staatliche Investitionen und neue kommerzielle Marktteilnehmer lösen derzeit einen regelrechten Boom aus. So sollen in den kommenden 10 Jahren mehr als 26.000 neue Satelliten mit einer Masse bis 500 kg ins All gestartet werden. Das entspricht 1,5 Tonnen pro Tag, die mit Raketen in den Orbit gebracht werden. Eine wichtige Rolle am Wachstum spielen auch die Verteidigungsbehörden sowie die starke Nachfrage aus Asien nach Kleinsatelliten-Hardware und Datendiensten.
Es wird voll im Orbit. Das zeigt sich beim Blick in den von Euroconsult veröffentlichten Report “Prospects for the Small Satellite Market” (dt. Aussichten für den Kleinsatelliten Markt). Laut Angaben des globalen Strategieberatungs- und Marktforschungsunternehmens sollen bis 2032 rund 26.104 Kleinsatelliten ins All starten. Dort befinden sich bereits heute knapp 7.000 von Menschen gemachte künstliche Himmelskörper. Allein im vergangenen Jahr kamen 2.375 Satelliten mit einer Masse kleiner als 500 kg hinzu.
Megakonstellationen “Made in USA” und “Made in China”
Besonders ins Gewicht fallen Megakonstellationen wie Starlink (SpaceX), die bereits in Betrieb sind. Aber auch China arbeitet – in der westlichen Welt weitestgehend unbeachtet – am Aufbau einer eigenen Megakonstellation von Internet-Satelliten. So gründete die Regierung bereits im April 2021 zwar öffentlich, aber ohne mediale Aufmerksamkeit zu erwecken, das neue staatliche Unternehmen “China SatNet”. Seine Aufgabe ist der Aufbau von Chinas Mega-Internet-Satellitenkonstellation “Guowang” (dt. nationales Netzwerk) im LEO. China hat bei der Internationalen Fernmeldeunion ITU bereits einen Antrag für den Start von 12.992 Satelliten in die Erdumlaufbahn gestellt. Das sind rund 1.000 Satelliten mehr, als bisher für Starlink genehmigt wurden.
Allein diese beiden Konstellationen werden in den kommenden 10 Jahren fast zwei Drittel aller gestarteten Kleinsatelliten ausmachen, bezogen auf die Masse sogar 80 Prozent. Aus finanzieller Sicht werden sie laut Euroconsult jedoch weniger als ein Viertel des Marktwertes ausmachen. Dies ist auf ihre hohe Kosteneffizienz zurückzuführen, die wiederum erhebliche Chancen für andere Marktteilnehmer eröffnet.
Kleinsatelliten 2022 in Zahlen
2.375
Neuer Rekord
Im Jahr 2022 gestartete Kleinsatelliten: 2.375
1.720
Starlink-Satelliten
Rund 3/4 aller 2022 gestarteten Kleinsatelliten waren Starlink-Satelliten von SpaceX
1.992
Marktführer SpaceX
SpaceX launchte 84 % aller 2022 gestarteten Kleinsatelliten
180 g
Leichtgewicht
Unicorn-1 (Alba Orbital) war mit 180 Gramm der leichteste 2022 gestartete Kleinsatellit
238 kg
Durchschnitt
Die durchschnittliche Masse eines 2022 gestarteten Kleinsatelliten beträgt 238 kg (von Starlink beeinflusst)
500 kg
Schwergewicht
USSF-12 Ring (USA 333) ist mit einer Masse von 500 kg der schwerste 2022 gelaunchte Satellit
58 %
Marktpotenzial
107 von 186* Flügen weltweit transportierten Kleinsatelliten ins All
exkl. Fehlschläge, inkl. astronautische Missionen
95 %
Transport-Tycoon
SpaceX launchte beinahe allein die gesamte Masse aller 2022 gestarteten Kleinsatelliten
98 %
Arbeitsplatz
Mit 533 t befindet sich nahezu die gesamte Masse aller 2022 gestarteten Kleinsatelliten im LEO
(Low Earth Orbit, 200-2.000 km)
Quelle: Eurosonsult
SpaceX dominiert Launch von Kleinsatelliten
Diese Prognose mag Hersteller und Betreiber von Kleinsatelliten positiv stimmen, setzt jedoch voraus, dass ein Satellit in den Orbit kommt. An dieser Stelle gibt es derzeit jedoch ein nicht unerhebliches Problem. Denn wie sich aus den Zahlen ablesen lässt, zeichnete SpaceX mittlerweile für 84 Prozent aller Starts von Kleinsatelliten verantwortlich. Das mag einerseits an den verhältnismäßig günstigen Preisen für ein Kilogramm Nutzlast liegen, andererseits aber auch an fehlenden Alternativen. Unter dem Strich lässt sich festhalten, dass das Unternehmen aus Hawthorne (Kalifornien, USA) den Markt de facto leer geflogen hat. Wenn eine Nutzlast ins All soll, geht es kaum ohne SpaceX, weil alternative Startdienstleister fehlen. Die Situation könnte sich aus europäischer Sicht Ende 2023 ändern, wenn Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg ihre Trägerraketen an den Start bringen. In den Startlöchern steht mit HyImpulse ein dritter Microlauncher-Hersteller aus Deutschland. Alle drei Unternehmen haben sich zwar auf den Transport von Kleinsatelliten spezialisiert, müssen allerdings noch ihre Feuertaufe bestehen.
In ihrem mittlerweile 9. Bericht gehen die Spezialisten von Euroconsult davon aus, dass der Markt für Kleinsatelliten in den kommenden 10 Jahren auf ein Volumen von 110,5 Milliarden US-Dollar ansteigen wird. Bestimmt werden wird dieser zu großen Teilen durch “Austausch-Missionen”. Denn vor allem moderne kommerzielle Satelliten sind so designt, dass sie bereits nach wenigen Jahren das Ende ihrer Betriebszeit erreichen. So können einerseits schneller Iterationszyklen realisiert werden, andererseits steigt jedoch die Notwendigkeit für deren Ersatz. Ein weiterer Treiber für das Marktvolumen – wenn auch in geringerer Höhe – sind laut Euroconsult komplexere und damit kostspieligere Einzelsatellitenmissionen staatlicher Nutzer.
Veränderungen des Marktes für Kleinsatelliten unvermeidbar
Ungeachtet des Booms wird sich der Markt nach Einschätzung der Expert:innen in den kommenden Jahren stark verändern. Als Herausforderungen benennt der Bericht die nur eingeschränkte Marktzugänglichkeit für die Zulieferindustrie, die schwierige Rentabilität, das Überangebot und die Dominanz einer Handvoll etablierter Akteure bei kommerziellen Aktivitäten. Erschwerend hinzu kommen aus anderen Wirtschaftsbereichen bestens bekannte Probleme. Da sind zum einen Lieferketten, die vielerorts immer noch eher schlecht als recht funktionieren. Ebenso setzt die angespannte Lage in der Verfügbarkeit von Halbleitern und Rohstoffen auch der Raumfahrtbranche zu. Und nicht zuletzt sorgt die weltweit starke Inflation für weiter steigende Kosten. All das könnte dazu führen, dass neue Konstellationen (zumindest vorübergehend) über einen geringeren Leistungsumfang verfügen. Schlimmstenfalls könnten ganze Missionen auf Eis gelegt oder gar gestrichen werden.
Nichtsdestotrotz stellen Kleinsatelliten für neue Marktteilnehmer im Raumfahrtsektor immer noch eine bedeutende Möglichkeit zum Aufbau von Fähigkeiten dar, wobei der Konflikt in der Ukraine die Vorzüge und den Wert kommerzieller Kleinsatelliten-Konstellationen für Satellitenkommunikation und Erdbeobachtung in den Vordergrund stellt.
Alexandre Najjar, Euroconsult, Hauptautor Prospects for the Small Satellite Market
Weniger Globalisierung für mehr Sicherheit
Ein weiterer Trend in der Raumfahrtindustrie ist die Regionalisierung. Diese lässt sich bereits heute beobachten und wird sich im kommenden Jahrzehnt weiter etablieren. Denn sowohl Startdienstleister als auch Satelliten-Hersteller und Subsystem-Lieferanten scheinen umzudenken und bestenfalls auf Know-how in direkter Nachbarschaft zu setzen. Das ist nicht nur hinsichtlich etwaiger Lieferschwierigkeiten sinnvoll, sondern oftmals Voraussetzung, um vor allem staatliche Aufträge zu erhalten. Zwar drängt sich leicht der Eindruck auf, dass nach Jahren der Globalisierung plötzlich wieder jeder sein oder ihr eigenes Süppchen kocht. Doch gerade für institutionelle Nutzlasten gelten besonders hohe Sicherheitsanforderungen. Satelliten gehören in Deutschland per Definition zur kritischen Infrastruktur und so wundert es nicht, dass Industrie und Politik auf Nummer sicher gehen wollen. Dabei möchte die EU nicht nur ohne Hard- und Software aus China auskommen, sondern auch die USA ohne europäische – und chinesische.
2013-2022 | 2023-2032 | ∆ | |
---|---|---|---|
Marktvolumen Kleinsatelliten-Industrie (gesamt) | US$ 30,2 Mrd | US$ 110,5 Mrd | x 3,7 |
davon Marktvolumen Herstellung und Fertigung | US$ 20,7 Mrd | US$ 76,3 Mrd | +268% |
davon Marktvolumen Startdienstleistungen | US$ 9,5 Mrd | US$ 34,2 Mrd | +261% |
Größere Raketen + größere Satelliten = weniger Launches?
Da darüber hinaus immer mehr Schwellenländer ebenfalls ins All drängen, scheint dieser Ansatz nachvollziehbar. Die Kehrseite der Medaille sind jedoch für Satelliten-Anbieter kleiner werdende Märkte. Zusätzlichen Druck erfahren diese zudem aus Richtung der Startdienstleister, die sich wie zum Beispiel SpaceX auch in den Bereich der Satellitentechnologie und nachgelagerter Dienste wagen. Blue Origin plant mit Kuiper nicht nur eine eigene Megakonstellation, sondern arbeitet bereits seit Längerem an der Entwicklung der New Glenn, eines eigenen für den Transport geeigneten Launchers. Wie sich zeigt, werden Satelliten nicht nur immer leistungsfähiger, sondern tendenziell größer und schwerer. Und sollte SpaceX’ Starship nicht nur für Missionen zum Mond oder Mars, sondern wie von Elon Musk angekündigt auch zum Transport von Satelliten genutzt werden, käme das einer Zäsur gleich. Mit einer Nutzlastkapazität von 100 bis 150 Tonnen könnten alle 2022 gestarteten Kleinsatelliten mit nur fünf Flügen in den Orbit gebracht werden. Ein solches Szenario ist zwar höchst spekulativ, dennoch könnte zum Ende des Jahrzehnts der Eindruck eines schrumpfenden Marktes entstehen.
Konstantes Wachstum und staatliche Unterstützung
Euroconsult weißt jedoch darauf hin, dass die Branche ungeachtet dessen konstant wachsen wird. Selbst dann, wenn man die Megakonstellationen Starlink und GuoWang nicht berücksichtigt. Als Motor für den Wachstum machen die Autor:innen des Reports denn auch langfristige Verträge mit staatlichen Institutionen und Regierungsbehörden aus. Bereits beschlossen sind kommerzielle Ergänzungen von Copernicus, dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm der ESA. In den USA kann sich SpaceX über staatliche Unterstützung von Starlink freuen. Zudem hat das National Reconnaissance Office (NRO, dt. Nationales Aufklärungsamt) einen 10-Jahres-Vertrag mit Maxar, BlackSky und Planet Labs unterzeichnet. Diese drei Unternehmen sind spätestens seit Ausbruch des Angriffskrieges gegen die Ukraine einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, da sie zahlreiche der immer wieder gezeigten Satellitenbilder zur Verfügung stellen.
Von Branchenverbänden wie der NewSpace Initiative des BDI und auch von der Wirtschaft wird immer wieder gefordert, dass der Staat möge als Ankerkunde auftreten. Vor allem in der Startup-Phase sei das wichtig, da dies nicht nur finanzielle Sicherheit bietet, sondern auch das Vertrauen von Investoren und / oder zukünftigen Kunden ins Unternehmen stärkt. Wie die Marktanalyse von Euroconsult zeigt, stehen die Zeichen in den kommenden zehn Jahren in allen Bereichen auf Wachstum. Einen detaillierten Einblick über die Aussichten für den Kleinsatellitenmarkt im nächsten Jahrzehnt wird das Unternehmen am 8. August 2023 auf der Small Satellite Conference in Logan (Utah, USA) geben.
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"Täglich sollen bis zu 1,5 Tonnen Kleinsatelliten ins All starten"