Fraunhofer IWU

Kunsthandwerk trifft Hightech: Nussknacker mit Form-Gedächtnis-Legierung 

Diese Space News wurde veröffentlicht am Sa, 24.12.2022 – 14:51 CET und berichtet über smarthoch3

Pünktlich zu Weihnachten gibt es aus Seiffen eine Räucherfigur in Raketenform. Der Clou: Sobald eine brennende Räucherkerze darunter steht, taucht wie von Zauberhand ein Nussknacker auf. Was auf den ersten Blick nach einer netten Spielerei klingt, zeigt jedoch eindrucksvoll, wie Ergebnisse aus der Weltraumforschung den Weg in unseren Alltag finden. Den gemeinsamen Weg von Hightech und Kunsthandwerk ebneten das Fraunhofer IWU, der Kunsthandwerker Markus Füchtner und vor allem das Innovationsnetzwerk smart3.

Die ganze Geschichte

Das Prinzip klingt bestechend einfach: Eine kleine Feder mit Form-Gedächtnis-Legierung (FGL) im Inneren einer hölzernen Rakete sorgt dafür, dass die Wärme einer Räucherkerze einen kleinen Nussknacker nach oben bewegt. Doch hinter diesem neuen Produkt aus dem Hause Füchtner stecken mehrere Monate harter Arbeit und intensiver Kooperationen.

Form-Gedächtnis-Legierung in Räucherrakete Wilhelm geschlossen (li) und geöffnet (re);
© Markus Füchtner / Astrodrom
Räucherrakete Wilhelm geschlossen (li) und geöffnet (re);
© Markus Füchtner / Astrodrom

Bereits im Mai 2021 organisierte das SMWA (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit) einen (aufgrund der Corona-Pandemie virtuellen) Cluster-Stammtisch. In der Folge nahm smart3 am SPIELZEUG.MACHER.FESTIVAL im erzgebirgischen Seiffen teil, wodurch viele Kontakte zu regionalen Kunsthandwerker:innen geknüpft wurden. Es folgten mehrere gegenseitige Besuche in der Denkstatt in Seiffen und am Fraunhofer IWU in Dresden. Im Juli 2022 lernten sich schließlich Markus Füchtner und Holger Kunze, Geschäftsführer smart3, bei einem Workshop zu smart materials kennen. Die Idee der FGL-Räucherrakete entwickelten sie von da an gemeinsam.

Nussknacker auf der ISS – “The world is nut enough”

Dass es ausgerechnet eine Rakete werden würde, ist dabei kein Zufall. Denn mit “Reisenussknacker Wilhelm” hat Markus Füchtner 2016 einen 12 cm großen Botschafter für das Erzgebirge geschaffen, der bereits mehr als 40 Länder der Erde besucht hat. Ziel ist es, Station in jedem Land “und darüber hinaus” zu machen, wie Füchtner in einer Fernsehsendung erwähnte. Diesen Nebensatz hörte der Kurator und Ausstellungsmacher Alexander Ochs, der im Gremium der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 sitzt. Er stellte Kontakt zum Raumfahrt-Experten und Ausstellungsmacher Tasillo Römisch her, der sich wiederum bei der ESA dafür einsetzte, dass Wilhelm zur ISS fliegen kann. Nach Prüfung und Freigabe startete der Nussknacker dann im Rahmen der Mission CRS-23 am 29. August 2021 mit einer Falcon 9 zur ISS. Matthias Maurer folgte am 11. November 2021 und sendete am 4. Advent (19. Dezember) aus dem Orbit Grüße ins Spielzeugdorf Seiffen.

Screenshot Matthias Maurer grüßt Seiffen von der Internationalen Raumstation ISS;
© dpa/Stadt Chemnitz
Screenshot Matthias Maurer grüßt Seiffen von der Internationalen Raumstation ISS;
© dpa/Stadt Chemnitz

Von der damit verbundenen Medienpräsenz profitiert neben Füchtners Erfinderwerkstatt auch die ganze Region. Denn das Erzgebirge ist zwar aus touristischer Sicht gut aufgestellt und weithin bekannt, andere Wirtschaftszweige leiden aber massiv unter dem demographischen Wandel. Allein in Seiffen gab es in den letzten drei Jahrzehnten einen Bevölkerungsrückgang um 37 Prozent. Das Resultat: Etwa 40 Werkstätten stehen aufgrund nicht geklärter Nachfolge bereits still. Viele davon sind Familienbetriebe mit langer Tradition – Markus Füchtner beispielsweise führt seines in der bereits achten Generation. Wie gefragt “Wilhelms Räucherrakete” trotz ihres stolzen Preises (ab 235 Euro) ist, lässt sich auch an deren Lieferzeiten ablesen. Obwohl sie bereits in der Fertigung ist, wird sie wohl frühestens zur Adventszeit 2023 bei ihren Käufer:innen startklar sein.

Form-Gedächtnis-Legierung: smart3 bringt Kunsthandwerk und Hightech zusammen

Nichtsdestotrotz wurde die hinter der Räucherrakete steckende Technologie mittlerweile zum gemeinsamen Patent der Meet the Nutcracker UG und des Fraunhofer IWU durch smart3 angemeldet. Als Europas größtes Netzwerk für smarte Materialien verfolgt die Initiative das Ziel, neue und innovative Produkte auf Basis von smart materials zu entwickeln. Dazu zählen thermische Form-Gedächtnis-Legierungen (FGL), magnetische Form-Gedächtnis-Werkstoffe (MSM), Piezokeramiken und dielektrische Elastomer-Aktoren (DEA). In der Raumfahrt sind diese längst etabliert, unter anderem in den Reifen des Mars-Rovers Curiosity oder auch in CubeSats. So ermöglichen zum Beispiel Aktuatoren mit FGL zahlreiche neue Anwendungsfälle. Zudem können sie auf der Erde ausgiebig getestet werden, benötigen keine zusätzliche Schmierung und erzeugen im Gegensatz zu Pyrotechnik und Brenndrähten im Orbit keine Trümmer.

Graphic Recording der Idee einer Räucherrakete mit Form-Gedächtnis-Legierung;
© Fraunhofer IWU / smart3
Graphic Recording der Idee;
© Fraunhofer IWU / smart3

Wie Holger Kunze im Gespräch mit Astrodrom betont, zeigt der Einsatz einer Feder mit Form-Gedächtnis-Legierung in einer Räucherrakete, dass diese Technologie durchaus auch im Alltag auf der Erde von Bedeutung sein kann. Vor allem aber, dass Tradition und Hightech tatsächlich miteinander vereinbar sind und daraus neue Produkte entstehen können.

Eine unserer Kernkompetenzen ist es, die Komplexität intelligenter Werkstoffe von der Handhabungsebene auf die Werkstoffebene zu verschieben. Wir hatten bei smart³ die Idee, Form-Gedächtnis-Legierungen in Figuren oder Objekten des erzgebirgischen Kunsthandwerks einzusetzen. Das ist insofern naheliegend, als das Form-Gedächtnis-Legierungen auf Wärme reagieren und Weihnachten untrennbar mit Kerzen und Räucherkerzen verbunden ist. Und aus der daraus ‘produzierten’ Wärme lässt sich mit FGL Bewegung in die Figuren oder Objekte bringen, was sonst nicht möglich ist. Dank unseres Netzwerks lernten wir mit Markus Füchtner einen Partner kennen, mit dem wir diese Idee umsetzen konnten. An der Räucherrakete sieht man also, welchen Mehrwert Netzwerke bringen können.

Holger Kunze, Geschäftsführer smart3

smart materials als Antwort auf knappe Ressourcen, Klimawandel und Fachkräftemangel

Die Einsatzgebiete smarter Materialien sind jedoch noch weitaus vielfältiger. So lassen sich damit etwa sich selbst verschattende Fensterscheiben realisieren. Im Bereich der Medizin sind intelligente Implantate denkbar. In der Produktionstechnik lassen sich Informationen über den Zustand einer Anlage direkt gewinnen. Und im Automobilbau lässt sich dank Piezoelementen aus kleinsten Vibrationen Energie gewinnen. Letztlich sind sie jedoch auch dazu geeignet, dem Fachkräftemangel entgegen zu treten. Denn wie man am Beispiel der Seiffener Räucherrakete sieht, lassen sich auch scheinbar angestaubte Berufe ins Hier und Jetzt holen. Vor allem aber kann man jetzt ruhigen Gewissens einen Satz sagen, der unter Raumfahrt-Enthusiasten verpönt ist: “Aus der Rakete kommt Qualm.”

Header Bild: Fraunhofer IWU
Verfasst von M. Weissflog
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Martin Dallinger / Astrodrom
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